Ansicht des SkyTrain am Düsseldorfer Flughafen.

Autonomes Fahren bei der Bahn: Was wird aus dem Lokführer?

Fahrerlose Züge kommen. Die Frage ist nicht ob, sondern wie und wann. Werden dann überhaupt noch Lokführer gebraucht? „Ja, sicher!“, sagen unabhängige Experten. Wir haben mit Professor Dr. Christian Schindler, Lehrstuhlinhaber und Direktor des Instituts für Schienenfahrzeuge und Transportsysteme (IFS) an der RWTH Aachen, über das autonome Fahren im Bahnverkehr gesprochen.

Wie wird sich das autonome Fahren auf der Schiene in den nächsten 15 bis 25 Jahren entwickeln?

Professor Schindler: Fahrerlose Schienenfahrzeuge gibt es jetzt schon sehr lange, zum Beispiel die U-Bahn-Linien U2 und U3 in Nürnberg oder der Sky Train am Flughafen Düsseldorf. Es handelt sich hier um U-Bahn- und People-Mover-Systeme, von denen weltweit mehr als 80 Linien fahrerlos und vollständig automatisiert betrieben werden, das heißt: Sie werden komplett von außen gesteuert. Aber sie sind nicht autonom.

Beim autonomen Fahren bewegt sich das Verkehrsmittel ja vollkommen selbstständig aufgrund der an Bord installierten Sensorik und Künstlicher Intelligenz im Verkehrsraum. Das ist beim Autofahren das Ziel. Auf der Schiene geht das natürlich auch und wahrscheinlich sogar besser, aber der Trend weist eher zum voll automatisierten Fahren. Und das ist nicht wirklich neu. Denn schon heute werden alle Züge durch die Signaltechnik von außen kontrolliert, Signale geben Streckenblöcke frei oder nicht. Diese Technik wird kontinuierlich weiterentwickelt. Darüber hinaus wird zurzeit mit Blick auf den zunehmenden Lokführermangel an den Einsatzmöglichkeiten fahrerloser Züge geforscht.

Wie bewerten Sie die Voraussetzungen für fahrerloses Fahren im Bahnverkehr?

Professor Schindler: Durch die signaltechnische Infrastruktur, die Überwachung der Strecken sowie vorhandene Technologien wie LZB oder ETCS sind die Grundvoraussetzungen für einen fahrerlosen Betrieb auf der Schiene schon mal sehr gut. Allerdings macht die heterogene Landschaft verschiedener Betriebsleit- und Sicherungssysteme den Lokführer nach wie vor unentbehrlich. Zudem sind die Bremswege bei Zügen sehr lang. Ein ICE mit 300 km/h Geschwindigkeit kommt erst nach drei Kilometern zum Stillstand, beim Regionalzug mit 160 km/h ist es ein guter Kilometer. Bei Einfahrten in den Bahnhof wird auf Sicht gefahren, der Blick des Lokführers ist hier entscheidend. Darüber hinaus haben wir im Eisenbahnverkehr – anders als bei U-Bahnen – keinen unabhängigen Fahrweg, sondern offen zugängliche Strecken mit Schnittstellen zum Straßenverkehr beispielsweise an Bahnübergängen. Schließlich gibt es Störungen im Gleis, umgefallene Bäume ebenso wie Personen. Hier ist die Reaktionsfähigkeit eines Lokführers gefragt. Sensoren können das nicht, zumindest jetzt noch nicht, die Technik fürs Auto ist für Züge zu kurzsichtig.

Welche Einsatzmöglichkeiten sehen Sie für fahrerlose Züge?

Professor Schindler: Überall dort, wo Schienenfahrzeuge auf abgeschlossenen Gleisen verkehren, sind fahrerlose Züge heute schon möglich, so wie es eben bei U-Bahnen oder People Movern der Fall ist. Das geht auch im Güterverkehr. Bei uns in Deutschland wird zum Einsatz autonomer Güterzüge in Rangierbahnhöfen geforscht. Der Rangierbahnhof funktioniert dann wie ein Hochregallager aus der Industrie, wo automatisch Paletten gefahren, über Stockwerke zwischengelagert, vorsortiert und umgeladen werden. Dafür wiederum brauchen die Züge dann eine automatische Mittelpuffer-Kupplung. Viele Forschungsprojekte greifen da ineinander. Gute Chancen für die nähere Zukunft sehe ich im Betrieb von nicht schnell fahrenden Zügen, da sie kürzere Bremswege haben, die von heutigen Sensoren bereits abgedeckt werden. Da hat zum Beispiel der australische Bergbaukonzern Rio Tinto ein eigenes Schienennetz im Outback, auf dem bis zu 40, ausschließlich fahrerlose Züge im Einsatz sind. Im Personenverkehr testet Siemens zurzeit mit den Verkehrsbetrieben in Potsdam eine autonome Straßenbahn. Wir selbst am IFS forschen derzeit an autonomen Schienenfahrzeugen für Bahnstrecken in ländlichen Regionen. Je nach Besiedlung und Strecke verkehren herkömmliche Züge auf solchen Strecken höchstens im 60-Minuten-Takt. Durch den Einsatz fahrerloser Triebwagen mit der Kapazität eines Standardlinienbusses, aber dem Komfort der Eisenbahn, könnten statt einer vier Fahrten in der Stunde angeboten werden. Diese Schienenbusse wären langsamer, so dass auch die Hinderniserkennung im Zusammenhang mit der Bremswegproblematik gelöst werden könnte. Es gibt also sehr viele Möglichkeiten zum autonomen Fahren bei der Bahn, aber dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Und da gibt es noch sehr viel zu tun und zu forschen.

Das autonome Fahren bei der Bahn macht den Lokführer also erst einmal nicht überflüssig?

Professor Schindler: Ganz sicher nicht. Lokführer werden sicher noch einige Jahrzehnte lang gebraucht. Und es besteht auch kein wirtschaftlicher Druck, Lokführer durch fahrerlose Züge zu ersetzen. Wir forschen ja gerade deshalb zum fahrerlosen Schienenverkehr, weil es zu wenige Lokführer gibt. Es geht auch darum, das vorhandene Personal besser einzusetzen, damit das Angebot auf der Schiene stabil bleibt und wachsen kann. Und selbst dann, wenn Züge komplett von außen gesteuert werden können, werden Lokführer immer noch gebraucht. Das Berufsbild wird sich verändern, der Beruf wird bleiben. Lokführer werden dann eben in der Fernbedienung oder in der Störungsbehebung arbeiten.